Von Dominic Berner
Als die Stille im Stadion durch den Startschuss zerrissen wird, laufen sechs Athletinnen los – die siebte bleibt stehen. Einige Augenblicke vergehen, bis sie begreift, was gerade geschehen ist. Dann startet auch sie in das Rennen über zwei Runden. Ihre Konkurrentinnen sind ihr da schon ein paar Schritte voraus.
800 Meter, Deutsche Meisterschaften in Rostock. Auf diesen Wettkampf hatte Tamara Edinborough hingefiebert. Sie war nervös, bekam in der Woche vor dem Rennen kaum einen Bissen hinunter.
Einen Grund zur Sorge gab es eigentlich nicht, denn die 17-Jährige hatte eine starke Saison hinter sich – vor allem über die 800 Metern, den zwei Stadionrunden. 2:23,54 Minuten in Stuttgart, 2:21,13 in Ulm – Edinborough verbesserte sich deutlich. In Reutlingen lief sie dann Ende Mai überraschenderweise erstmals unter 2:20 Minuten. 2:16,23. Dieser riesige Sprung brachte die Schülerin in eine neue Liga, denn sie qualifizierte sich für die Deutschen Jugendmeisterschaften in Rostock. Und das in ihrer ersten richtigen Saison.
„Anfangs wollte ich meiner Trainerin nur zeigen, dass ich keine gute 800 Meter-Läuferin bin“, sagte Edinborough. Dies misslang ihr allerdings gewaltig, denn spätestens, nachdem die Mittelstrecklerin die Norm für die Deutschen Meisterschaften erfüllt hatte, stand fest: Sie ist eine gute 800 Meter-Läuferin. „Das kam aber auch für mich völlig überraschend“, meint sie und grinst.
Eigentlich nicht ihre Disziplin
In der Jugend startete Edinborough gelegentlich über 400 Meter, die Strecke, die sie sich als Paradedisziplin ausgesucht hatte. Als die Leichtathletin jedoch in die Leistungsgruppe Lauf wechselte, merkte MTV-Coach Renata Krajewski schnell, dass Edinborough großes Potential auf längeren Strecken zeigt. „Tamara hat einen effizienten Laufstil und eine gute Grundlagenausdauer“, erklärte die erfahrene Mittel- und Langstreckentrainerin. „Wenn sie läuft, sieht das so aus, als ob sie das gar nicht anstrengen würde.“
Aus diesem Grund entschied sich Krajewski dazu, die Nachwuchsathletin auf einen neuen Geschmack zu bringen – auf den der 800 Meter.
In letzter Zeit trainierte Edinborough drei- bis viermal pro Woche. Verglichen mit anderen ambitionierten Athleten kein hohes Wochenpensum, für sie jedoch genug, um genau mit dieser Konkurrenz gut mitzuhalten.
Und plötzlich – noch eine DM-Qualifikation
Das zeigten vor allem die Regionalmeisterschaften in Stuttgart, die Edinborough auf die DM vorbereiten, ihr Wettkampferfahrung und Selbstvertrauen bringen sollten. 400 Meter sollte sie diesmal laufen. Kürzer, aber dafür wesentlich schneller.
Unmittelbar vor diesem Wettkampf fuhr die Schülerin jedoch nach Berlin auf Klassenfahrt, was nicht gerade für beste Vorraussetzungen sorgte. „Eigentlich hätte ich Minimum zweimal laufen gehen sollen. Das habe ich nicht geschafft und hinzu kam noch, dass ich dort wenig geschlafen und mich wirklich schlecht ernährt habe“, sagte die Stuttgarterin. „Ehrlich gesagt habe ich deshalb nicht viel erwartet von den Regios. Ich dachte, ich werde die 400m zwischen 65 und 70 Sekunden laufen.“
Das Ergebnis verblüffte sie wahrscheinlich selbst am meisten, denn Edinborough kam nach 58.95 Sekunden ins Ziel, lief damit Persönliche Bestzeit, wurde Regionalmeisterin und qualifizierte sich auch über 400m für Rostock.
Den Schuss nicht gehört?
Die Stuttgarterin konzentrierte sich bei den Deutschen Meisterschaften jedoch ausschließlich auf die 800 Meter.
Der Vorlauf in Rostock begann dann etwas holprig, denn Edinborough blieb nach dem Startschuss stehen und lief sehr spät an. „Ich hatte den Knall zwar gehört, war mir aber nicht sicher, ob das der Startschuss war. Und weil ich auf der Außenbahn stand, hab ich die Anderen erstmal nicht loslaufen sehen. Als dann die Erste an mir vorbei war, bin ich auch los“, erklärt die Athletin.
Sie ließ sich von dem missglückten Start nicht beirren, lief mit ein paar Sätzen an die Gruppe heran und biss sich durch. „Ich war wirklich sehr nervös vor dem Wettkampf“, sagte Edinborough. Während des Rennens war von dieser Nervosität nichts mehr zu spüren. In 2:16,99 Minuten kam die MTV-Athletin als sechste ins Ziel. Und weil sie zu den zehn Zeitschnellsten der beiden Vorläufe gehörte, kam Edinborough eine Runde weiter – ins Finale.
Das Pulver verschossen
Im Endlauf einen Tag später, war dann jedoch die Luft bei ihr raus. „Am Morgen des Wettkampftages waren meine Waden total verhärtet. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt im Ziel ankomme“, meinte sie. Die Läuferin kam ins Ziel, zwei Sekunden langsamer als im Vorlauf und auf dem letzten Platz.
„Ich bin mit dem Ziel nach Rostock gefahren, Bestzeit zu laufen. Daraus wurde nichts.“
Vielleicht hätte sie noch mehr trainieren können, vielleicht hätte sie in Berlin ein bisschen Sport machen sollen, vielleicht wär sie dann etwas schneller gelaufen – das werden wir nie herausfinden. Was wir allerdings mit Sicherheit sagen können: Die 17-Jährige hat in ihrer ersten Saison bei den Aktiven wahnsinnig viel erreicht. Und allein die Tatsache, dass sie sich für das Finale der Deutschen Meisterschaften qualifiziert hat, zeigt: Sie ist auf dem Weg zu Großem.
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